Von Györgyi Damjanić, geb. Kisch, aus Novi Sad
Jedes Jahr vor Weihnachten wird der Tscheber Heimatbrief in unserer Familie gespannt und ungeduldig erwartet. Angekommen, wird er in ein paar Stunden durchgelesen, Hunger nach Neuigkeiten gestillt, neue Wehmut geweckt!
In den langen Wintertagen wird der Heimatbrief erneut wieder und wieder gelesen. Viele bekannte Namen sind zu lesen und mehr oder weniger bekannte Gesichter sehen wir vor unseren Augen. Viele Tscheber haben das Glück, sich jedes Jahr treffen zu können! Wer hat dieses Jahr am Treffen teilgenommen? Wie ist es diesmal verlaufen? Wer waren die Jubilare? Wie sehen alle diese Leute jetzt aus? Wie sahen sie damals aus, als sie ihr Heim verlassen mussten? Können unsere Vorstellungen, die aufgrund der Berichte, vielen Erzählungen, Geschichten, Erinnerungen unseren schon längst verstorbenen Haman-Großeltern und unsrer noch nicht so lange verstorbenen Mutter Maria Kisch geb. Hamann entstanden sind, einigermaßen der Realität entsprechen? Würden wir die so oft gehörten Namen mit den Personen verbinden können? Wie schön, wie wundervoll, wie fantastisch wäre es, am Ort des Geschehens vielleicht die gesuchten Antworten finden zu können! Und dann geschah es: Ein langjähriger Traum ging in Erfüllung. Die vier Enkelkinder des Haman-Lehrers aus Tscheb nahmen am Tscheber Treffen 2015 in Reutlingen teil!
Schon am Vorabend konnten wir dem üblichen “Inoffiziellen Händeschütteln” im Café Schwarz-Weiß beiwohnen. Zum Zeitpunkt unserer Ankunft – etwa gegen 19.00 Uhr – waren Brigitta Zillig, ihr Ehemann Siegfried sowie Elfriede und Konrad Korol bereits im Austragungslokal anwesend. Die von uns gewollte Überraschung war gelungen! Elfriede und Konrad waren verblüfft und hocherfreut uns zu sehen und umarmen zu können. Konrad glaubte – als er mich zuvor von weitem durch die Glasscheibe erblickte – eine Fata Morgana zu sehen! Bald kam auch Roland Groh, der 1. Vorsitzende der HOG, womit die rege Unterhaltung am immer mehr besetzten Tisch im kleinen Kreis fortgesetzt wurde.
Und dann kam der lang ersehnte Pfingstsamstag. Das angenehmste Wetter lockte zum Treffpunkt vor die St. Andreas-Kirche in Reutlingen Orschel-Hagen. Im Vorhof der Kirche hatten sich bei unserem Erscheinen bereits Landsleute versammelt. Ein Kribbeln in meinem Bauch zeugte von meiner Vorfreude, von der Aufregung, aber auch von einer ungewissen Angst. Sogleich kamen bekannte und unbekannte Menschen auf uns zu, begrüßten uns freundlich, fragten nach unserer Reise und interessierten sich für den Entschluss, hierher zu kommen, um am Treffen teilzunehmen. Alles wirkte auf mich wohltuend. Jetzt schon ziemlich beruhigt – und festlich gestimmt – habe auch ich mich den Versammelten in der Kirche angeschlossen. Herr Pfarrer Richard Kappler begrüßte die Anwesenden, gedachte auch derer, die nicht kommen konnten. Einen besonderen Gruß richtete er an Pfarrer Burger, der wegen seiner Krankheit auch dieses Jahr nicht dabei sein konnte. Anschließend zelebrierte er die Messe, in der Peter Binnefeld aus der Apostelgeschichte las. Um an der traditionellen Gedächtnisfeier teilzunehmen, fuhren wir nach dem Gottesdienst zum nahe gelegenen Friedhof Römerschanze. Roland Groh hielt vor dem Tscheber Gedenkstein eine kurze Ansprache. Anschließend gedachte Peter Binnefeld aller Tscheber Toten mit folgenden Worten: In liebevoller Erinnerung an alle Tscheber, alle Soldaten und Zivilopfer während des Krieges und nach dem Krieg in der alten und neuen Heimat, legen wir einen Blumenkranz an diesem Denkmal nieder. Dieser Gedenkstein soll uns an alle Tscheber Toten erinnern, besonders aber an jene, die keine würdige Ruhestätte gefunden haben. Während des Krieges und auch noch in den Jahren danach haben viele Tscheber ein schreckliches Schicksal erleiden müssen. Man trieb sie ins Lager, ermordete Unzählige oder gab sie dem Hungertod preis. Im Gedenken erstatten wir ihnen ein Stück Würde, die ihnen geraubt wurde, zurück. Wir können sie nicht dem Tod entreißen, wohl aber dem Vergessen. Der Trompeter Reinhold Lauer umrahmte die kleine Gedenkfeier mit zwei Musikstücken. Langsam ging es dann – am Wege an manchen Gräbern anhaltend – in Richtung Café-Restaurant Schwarz-Weiß, wo schon alles zum Programmablauf vorbereitet war. Schon am Eingang die erste Begegnung mit Tscheb/Čelarevo: Duško Galonja. Er beschenkte auch in diesem Jahr wieder die Landsleute und Gäste mit Dundjerski-Bier.
Allmählich füllte sich der Saal, 53 Personen waren wieder mit Erwartungen und Freude zum Treffen gekommen. Herzliche Begrüßungen, warme Umarmungen, manche Tränen. Fototermin zum Gruppenbild um 12.00 Uhr auf der Terrasse des Lokals. Der ganze Saal verwandelte sich in Tscheb im Kleinen . Da trafen sich Verwandte, ehemalige Tscheber Freunde, Nachbarn, Bekannte und führten die üblichen, aber auch verschiedensten Gespräche miteinander. Unter ihnen zum ersten Mal WIR, die vier Haman-Enkel Monika, Maria, Györgyi und Feri, die von allen herzlich willkommen geheißen wurden. Zu unserer Freude kamen auch einige aus der jüngeren, eigentlich schon in Čelarevo geborenen Generation, die einen Teil ihrer Kindheit mit uns verbracht hatten. Nachdem wir uns alle gegenseitig begrüßt und die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht hatten, nahmen wir unsere Plätze ein. Statt geplanter Bohnen- und Nudelsuppe wurden Bratwürste (Paprikawürste) mit Kren und Krautsalat serviert! Des Öfteren verließ man seinen Platz, um noch da oder dort jemanden zu begrüßen, nach Bekannten zu fragen oder einfach so zu plaudern.
Roland Groh begrüßte nun alle Anwesenden mit folgendem Wortlaut: “Ich möchte Sie alle herzlich willkommen heißen zu unserem 25. Tscheber Heimatortstreffen hier in Reutlingen. Ganz besonders herzlich und erfreut möchte ich diejenigen Gäste begrüßen, die eine sehr lange Reise unternommen haben, um hier bei uns sein zu können. Sie haben bereits vor 30 Jahren davon geträumt, einmal unser Heimatortstreffen besuchen zu können. Es sind dies die vier Enkelkinder vom Haman-Lehrer aus Tscheb! Die Schwestern Györgyi, Monika, Maria und Bruder Feri. Ein herzliches Willkommen bei den Tschebern! Die Überraschung ist Euch wirklich gut gelungen! Ebenfalls aus unserem ehemaligen Heimatort ist Duško Galonja wieder zu unserem Tscheber Heimatortstreffen gekommen. Er gehört mittlerweile zu unseren „Stammgästen“. Auch ihm ein ebenso herzliches Willkommen! Ich begrüße Herrn Norbert Merkle, Vorsitzender der Donauschwaben in Reutlingen und auch schon seit einiger Zeit 2. Vorsitzender unserer Heimatortsgemeinschaft, worüber wir uns sehr freuen. Er und sein Musikerkollege sorgen für die musikalische Umrahmung am heutigen Nachmittag. Ferner darf ich Herrn Andreas Müller aus Reutlingen begrüßen, der unsere Heimattreffen in den vergangenen Jahren musikalisch umrahmt hat und ein hervorragender Darsteller ist, wenn es um die donauschwäbische Charakterdarstellung geht. Warum veranstalten wir immer noch diese Treffen? Warum bewahrt man Gegebenheiten, die vielleicht längst überholt zu sein scheinen? Warum investiert man Zeit in Werte und Orte, die einem am Herzen liegen? Für mich gibt es einen Grund, der alle Anstrengungen und alle Mühe überwiegt: Es ist die Verbundenheit zum Elternhaus. Es ist aber auch Neugier an dem Vergangenen. Lassen Sie mich dies mit den nachfolgenden Worten des großen Meisters Cicero beantworten: “Nicht zu wissen, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, heißt immer ein Kind zu bleiben”. Daher denke ich, sind unsere Treffen gewünscht, weil wir immer noch mehr erfahren wollen, Gedanken austauschen wollen. Bei fast jedem Treffen gibt es immer wieder Neues zu hören, was wir noch nicht wussten. Heimat ist ein Thema, das derzeit voll im Trend liegt. Heimat sind für uns – die Nachfolgegeneration – Kindheitserinnerungen. Heimat hat für mich einen besonderen Geschmack, Geruch und auch Klang und viele Bilder aus Erzählungen und eigenen Erlebnissen bei meinen Besuchen in der ehemaligen Heimat unserer Eltern. Ich bitte jetzt um ein Grußwort von Herrn Merkle. “
Ich sag dankschee fers zuhorche unn winsch uns alli mitnand an scheene Dag mit viel vazehle.
Roland Groh
Roland Groh verwies noch auf den Zeitungs-Ausstellungstisch mit vor allem alten Ausgaben der Zeitung “Der Donauschwabe” und machte auch auf einige dabei liegende Exemplare der Tscheber Kalender aus den vergangen Jahren aufmerksam. Sie lagen zum kostenlosen Mitnehmen bereit.
Daneben hatten wir auf einem anderen Ausstellungstisch einige ganz unterschiedliche Bücher und Fibeln aus dem Nachlass unseres Großvaters, des Haman-Lehrers, zum Anschauen ausgelegt. Das älteste Buch ist von 1897/99 (Milwaukee Wisc.) mit dem Titel “Praktisches Kochbuch für die Deutschen in Amerika”. Alle Bücher schenkten wir der HOG Tscheb mit viel Liebe zur Erinnerung an den Haman-Lehrer. Der 1. Vorsitzende, Roland Groh, bedankte sich dafür sehr herzlich.
Von Roland Groh und Cornelia Binnefeld geb. Groh wurde den Altersjubilaren zur Ehre ein Präsent übergeben. Und danach wurde Kuchen serviert! Diese Tradition war uns bekannt, so haben auch wir ein paar Kuchensorten, die nach alten Rezepten vorbereitet wurden, mitgebracht. Den Duft der alten Heimat durfte ein jeder in einem kleinen mit Paprika gefüllten Beutel mit nach Hause nehmen!
Beim Kaffee mit den feinschmeckenden Kuchen ermunterte Roland Groh Herrn Andreas Müller, aus Čalma bei Erdewik/Srem, sein Gedicht vorzutragen. Er wurde mit lautem Beifall begrüßt.
Nachstehend der Wortlaut seines Vortrages:
Mei trhom (mein zuhause)
Dart, wo im Tarf so schee un brat ware die Gasse,
in dem Land, das mir hen misse verlasse,
dart wu die Baure uf die Felder ackre,
un im Hof die Hingl gackre.
Wu dr Kuh- un dr Schweihaldr in dr Fruh tut blose,
un ich beim Spiel hab veriss mei Hose.
Dart wu die alli sunndags in die Kerch sin gange
Un wu mr die Mucke mit m Muckepickr hot gfange.
Dart wu uf dr Gass steht dr grossi Nussebom,
siktr Leit, dart war ich trhom.
Dart wu im Herbscht dr Kukrutz wird gebroche,
dauert s bis zum Schlachte nar mehr a paar Woche.
Dart wu mr beim Schlachte schun vum neie Wein hot getrunge
Un in dr Kammer henge die Brotwerscht un die Schunge.
Dart wu dr Balwierer noch ins Haus is kumme
Un die Baure far s ackre die Patschkr hen gnumme,
Dart wu uf die Milchdeggl war drei Fingerdick dr Rohm,
siktr Leit, dart war ich trhom.
Dart wu dr Trummelmann die Neiichkeide hot ausgetrummelt,
un die Schnitter uf m Feld sich hen gedummelt.
Dart, wu vor dr Kerch dr Pijatz war jedi Woche
Un wu mr s Schnapsbrenne schun vum weitem hot groche.
Dart wu die Weiwr gekocht hen die Sarme un Bohne un Nudl
un gebacke hen die gude Nusse- un Maagstrudl.
Dart, wu die Schwoweleit erscht des Land hen urbar gmacht
Un ich als klones Kind hab gschpielt un glacht.
Des is des Land, vun dem ich noch immer trom,
siktr Leit, dart war ich amol trhom!
Allmählich klangen die Stimmen ab. Manche verabschiedeten sich schon, ein herrlicher Tag ging seinem Ende entgegen. Es war für uns vier Geschwister ein wunderschönes Erlebnis, das wir nie vergessen werden.
Wir brachten den Hauch der alten Heimat mit Liebe und Freude mit und tragen schöne Erinnerungen und alte Bekanntschaften mit Stolz zurück nach Hause!
Wovon wir unser Leben lang geträumt hatten, verwirklichte sich an diesem Wochenende! Es war eine Reise in ein verschollenes Leben, in ein verschwundenes Dorf, in eine Zeit, die nie wieder kommt!
Doch, eines ist noch da, und dieses mussten wir noch sehen: Das sind Sie, liebe Landsleute, die die Hauptrollen in Mutters Geschichten und Erinnerungen spielten! Wir sind sehr froh und glücklich, Sie jetzt, dank Ihrer Anwesenheit, auch persönlich im Gedächtnis tragen zu können! Vielen Dank für die schönen Momente!

Besonderen Dank an Katharina Piffath und Katharina Bittermann für die schönen gemeinsamen Stunden in Bad Buchau, Anna und Michel Turanov in Reutlingen und den Geschwistern Dori Strobel geb. Haditsch sowie Stefan und Franz Haditsch.