Die Tscheberin Anna Kosina geb. Morsch erinnerte sich im Tscheber Heimatbrief 2009!


Ich bin mir sicher, dass jeder, der jene Weihnachten im Jahr 1946 im Lager Batschka Palanka erlebt hat, diese schrecklichen Tage auch bis heute nicht vergessen konnte.

Oft denke ich an diese schwere Zeit als 19-Jährige!

Es waren viele Frauen und auch einige Mädchen aus Tscheb in diesem Lager. Soweit ich mich erinnere: Von den Mädchen waren es Eva Rundag, Eva Schadl, Theresia Schrenk, Theresia Karcher, Magdalena Mayer und Anna Klein. Oft saßen wir Tscheberinnen mit den Mädchen aus unseren Nachbargemeinden Gajdobra, Bulkes und anderen Ortschaften auf unseren Strohbetten und erzählten, wie schön es einst zuhause war. Ja, oftmals kamen die Tränen ungewünscht in die Augen. Es war die Sehnsucht nach den Lieben und nach der verlorenen Heimat. Auch im Magen knurrte es vor Hunger. Aber was konnten wir erwarten außer einem Schöpflöffel voll Gerstensuppe ohne Salz und einem Stückchen Kukuruzbrot?

Es war Winter und Vorweihnachtszeit. Wieder saßen wir Mädchen beisammen und machten den Plan für ein stilles Fest am Hl. Abend. Wir übten ganz leise die Lieder und Gebete, damit es niemand merkte. Besonders vorsichtig mussten wir sein, damit der Wachtposten uns nicht erwischte. Und so kam der Heilige Abend. Draußen lag hoher Schnee, es war sehr kalt. Wieder rückten wir zusammen, eine fest neben die andere, damit es uns wärmer wäre und begannen mit dem Lied „Leise rieselt der Schnee, still und starr liegt der See, weihnachtlich glänzet der Wald, freue dich, Christkind kommt bald“.

Doch wer von uns konnte sich freuen?

Einige, zu denen auch ich gehörte, wussten schon, dass wir keine Eltern mehr hatten, dass sie tot sind. Bei den anderen flogen die Gedanken an die Mutter oder Schwester nach Russland. Und wo der Vater war, wusste kaum jemand. Nein, wir konnten uns auf nichts mehr freuen …

Dann beteten wir für alle unsere Lieben in den anderen Lagern und in aller Welt. Auch beteten wir mit schwerem Herzen für unsere lieben Toten, die alles Elend überstanden hatten. Nach dem Gebet sangen wir das Lied, das schönste von allen Weihnachtliedern: „Stille Nacht, heilige Nacht …“

Wir haben gesungen und geweint. Dann war es für einen Moment still im Lagerraum, und wieder war das Weinen und Jammern zu hören.

Nach einer Weile fing ich an, das von mehreren Mädchen gemeinsam verfasste und auf ein altes Stück Karton (habe ich bis heute aufbewahrt) geschriebene Gedicht, vorzulesen. Es schloss alles ein, warum wir so unendlich traurig und trostlos auf unseren Strohhäufchen saßen:

Weihnachtsabend, Weihnachtsbaum
ist heut für uns nur wie ein Traum.
Es ruft uns keine Glocke zum Gebet,
einsam und öde unsere Kirche steht.
Kein Priester sagt uns tröstende Worte vom Altar,
keine Weihnachtslieder klingen durch den Saal,

O Heimatdörflein, Heimatland,
zu dir schlägt manches Herz in der Weihnachtsnacht.
ihr lieben Mütter seid ohne Trost,
von den Männern getrennt und kinderlos.
Die armen Kleinen in Jarek in Not,
in zitternden Händchen nur ein Stückchen Kukuruzbrot.

Wie sie vor Jahren noch lachend zum Bäumchen geschaut,
denn die Weihnachtsfreude hatte ihnen niemand geraubt.
Auf Mutters Schoß saßen die Kinder in seliger Ruh’
und heut’ deckt schon manches die Erde zu.

Unsere Armen in Russland in Kälte und Schnee,
weckt in den Herzen zu Weihnacht das Heimweh.
Für sie kein Tannenduft, kein Weihnachtsschein,
um sie herum endlose Steppe des Verlassenseins.
Ach Mütter und Mädels macht stark euch in der Not,
auch für euch Arme in der Ferne lebt ein treuer Gott.

So manche Männerträne heut heimlich rinnt
vor Trennungsschmerz von Eltern, Weib und Kind.
ihr armen Soldaten, Väter, Brüder in aller Welt,
die man euch nach Kampf und Entbehrung in das Lager gestellt,
schaut in die Sterne der klaren heiligen Nacht
und vergesst nie, dass wir treu an euch gedacht.

Ja, Weihnachten im Lager im 46er Jahr
wird uns in Erinnerung bleiben immerdar,
wo man die traurige Nachricht von den Angehörigen erhält,
entweder schon tot oder in einem anderen Lager von Hunger gequält
So manches Kinderherz in Hoffnung noch schlägt:
Ich hab noch ne’ Mutter, die für mich bet’.

Doch das Schicksal deckt all unsere Hoffnungen zu,
denn so manche Mutter schläft schon in ewiger Ruh’.
Ja, man kann sagen glücklich der, der heut nimmer lebt,
den man schon Jahre zu den Toten zählt,
denn unser Schicksal liegt zerschlagen wie Sand am Meer,
das Beisammensein der glücklichen Tage kehrt nimmer mehr.

O schöne Weihnachten in Friedenszeit,
du bleibst uns ewig in Unvergessenheit.
Drum bitten wir Gott in stiller Andacht
für all unsere Lieben in fernem Land,
beschütze sie Vater vor Krankheit und Hungersnot
und schick uns Erlösung oder den Tod.

Ins Gebet schließen wir all’ unsere Lieben ein
und hoffen auf ein Wiedersehen, das nur im Himmel kann sein.


Anna Kosina geb. Morsch