Ende Oktober 1944 bekam unser Vati Josef Eckmayer (1918) Fronturlaub. Er brachte seine Familie, unsere schwangere Mutti Eva Eckmayer geb. Abel (1920), meine Schwester Katherina (5 ½ Jahre) und mich, (knapp 3 Jahre), mit einem Planwagen von Tscheb zur ungarischen Grenze. Vati musste wieder zu seiner Truppe zurück. Muttis Eltern, Abel Nikolaus (1876) und Abel Magdalena geb. Hornung (1879) blieben in Tscheb zurück. Wir sind in ein Flüchtlingslager gekommen, von dort mit einem Viehtransportwagen weiter in verschiedene andere Lager. Unsere Mutti gebar im Lager einen Sohn. Da sie aber keine Milch und Nahrung hatte, musste unser Bruder 1945 im Alter von nur 8 Monaten sterben bzw. verhungern. Mutti erzählte uns später, dass die Frauen keine Nacht ruhig schlafen konnten, weil die Russen draußen vor dem Lager die ganze Zeit auf und ab gingen.

Als sie eine Frau hinausholen wollten und sie sich wehrte, haben sie diese vor den Augen der anderen Internierten und ihrem Kind erschossen. Das Kind lief davon. Mutti hat es nie mehr gesehen.

Später kamen wir nach Schlesien und dann nach Westfalen. Dort wurden wir getrennt. Meine Schwester kam zu einer fremden Familie. Ich durfte bei Mutti bleiben, weil ich noch so klein war. Wir hatten inzwischen Flöhe und Läuse bekommen und wurden daraufhin kahl geschoren. Nach der Kriegsgefangenschaft kam unser Vati nach Niederbayern auf einen Bauernhof in Tettenweis Kreis Grießbach im Rottal. Durch eine Suchaktion beim Roten Kreuz hatte er uns gefunden. Im Spätherbst 1947 waren wir wieder zusammen. Wir vier Personen bekamen ein kleines Zimmer von neun qm. Darin war gerade Platz für zwei Betten, einen kleinen Tisch, ein kleiner Ofen und drei Sitzgelegenheiten. Es war schrecklich eng und kein Platz mehr für einen weiteren Stuhl. So konnte ich nur kniend auf dem Bett am Tisch sitzen. Wir mussten in dieser Enge hausen, obwohl das Bauernhaus noch andere freie Zimmer hatte. Unser Schulweg war hin und zurück ca. 7 km lang. Manchmal kamen wir zu spät in die Schule. Dann bekamen wir mit dem Stock Schläge, im Winter auf die kalten Hände. Unsere Lehrerin war eine böse Frau, die die Flüchtlinge nicht mochte. In Tettenweis befand sich zu dieser Zeit ein jüdisches Flüchtlingslager. Die Menschen dort hatten nichts zu essen, jedoch hatten sie Kleidung und Schuhe. Damit wir etwas zum Anziehen bekamen hat unser Vati gewildert und das Fleisch gegen Kleidung getauscht. Dafür wurde er sogar eingesperrt. Man konnte ihm aber nichts beweisen und so kam er bald wieder frei.

Wir Kinder mussten schon in frühen Jahren tüchtig auf dem Bauernhof mithelfen. Mutti und Vati mussten harte Feldarbeit verrichten und im Kuhstall arbeiten. Vati bekam später im Betonwerk Rensch in München Oberföhring Arbeit. Mit einem Maurer hat er nach der täglichen Arbeit für uns ein kleines Einfamilienhaus in Oberföhring gebaut. 1950 – wieder ein Oktober – es hat schon geschneit, holte er uns von Tettenweis in das ca. 130 km entfernte Oberföhring. Da das Haus jedoch noch nicht fertig war, mussten wir den Winter zu viert in einer Art Holzgarage verbringen. Es war ein kalter Winter, den wir da erleben mussten. Der Wind pfiff durch die „Holzhütte“. Von unserer letzten Bleibe, dem Bauernhof in Tettenweis, hatten wir „unsere Möbel“ mitgebracht: zwei Betten, einen Tisch, ein Bankerl und einen Stuhl. Und hier war es genau so eng. Der Fußboden war ein Lehmboden, ich sehe heute noch den Ofen drauf stehen. Einmal besuchte mich eine Schulkameradin, ein einheimisches Mädchen. Als sie unser armseliges Zuhause sah sagte sie: „Was, da wohnst du?“ Ich habe mich dann so geschämt. Ungefähr Ende 1951 kam unsere Urgroßmutter Anna Eckmayer geb. Bleyer (1881) mit ihrem Enkelsohn Josef Eckmayer (1933) zu uns. Sie hatte uns sowie auch unseren Vati durch das Rote Kreuz suchen lassen. Ihre Tochter Anna Eckmayer (*1911) wurde mit den Tscheber Frauen Anfang Januar 1945 nach Russland deportiert und ist dort im Bergwerk ums Leben gekommen. Von Muttis Eltern, die, wie eingangs erwähnt, in Tscheb zurückgeblieben sind, haben wir nie mehr etwas gehört. Sie sind mit Sicherheit in einem der berüchtigten Hungerlager umgekommen. Im Laufe der Jahre haben unsere Eltern auch ihre Geschwister wieder gefunden: Unsere Mutti ihre Schwester Theresia Istvan, geb. Abel (1900) mit Familie und ihren Bruder Joseph Abel (1908) mit Familie. Von ihrem Bruder Nikolaus Abel (*1915) hat sie nie wieder etwas gehört. Es ist zu vermuten, dass er im Krieg gefallen ist. Seine Familie lebt heute in Niederösterreich.

Unser Vati seine Schwester Theresia (1926), seine Brüder Franz (1928), Peter (1923) und Michael (1920). Von Vatis Mutter, Theresia Eckmayer geb. Mayer, wissen wir jedoch gar nichts. Von unserem Opa väterlicherseits, Eckmayer Michael, wissen wir nur, dass er vor dem Krieg nach Saó Paulo, Brasilien ausgewandert ist. Er hat nur in den 60er Jahren einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben. Durch das spätere Tscheber Heimattreffen in Reutlingen haben unsere Eltern auch etliche Verwandte und Landsleute wieder getroffen. Wir leben heute als Großfamilie glücklich mit unseren Familien. Mutti lebt bei uns im Haus. Vati ist leider schon gestorben, ebenso der Mann meiner Schwester Katharina. Ein sehr schwerer Schicksalsschlag hat uns mit dem Tod unserer geliebten Tochter, unserem einzigen Kind, getroffen. Sie ist mit 36 Jahren im Jahre 1999 plötzlich verstorben. Geblieben ist uns ein liebes Enkelkind, das unter der Woche bei uns und am Wochenende bei unserem lieben Schwiegersohn lebt. Kirchheim im Landkreis München ist unsere neue Heimat geworden.


Diese Erinnerungen wurden von Gertrud Riescher geb. Eckmayer 2009 in Kirchheim niedergeschrieben und im 38. Tscheber Heimatbrief / Dezember 2009 veröffentlicht.