Wenn ich nach 50 Jahren unsere Flucht von Tscheb bis nach Deutschland niederschreibe, so mögen mir die Leute, die auch ich nach so vielen Jahren nicht mehr in meiner Erinnerung habe, deswegen nicht böse sein. Den Weg von Tscheb nach Niederschlesien jedoch habe ich genau aufgezeichnet und noch bei Lebzeiten unseres Vorsitzenden Matz Hubert, verglichen und abgestimmt. Zuerst möchte ich die Familien nennen, die am Heiligen Abend 1944 in Meling in der Grafschaft Glatz in Niederschlesien beisammen waren.

Franz Mayer

Beck Leni mit Tochter Lenka, Ernst Marianne mit Tochter Käthe und den Söhnen Josef und Franz (Fam. des letzten Tscheber Richters), Fahr Josef (Wirt) mit Frau Leni, Fahr Marianne (Zimmermann) mit Sohn Michael und Tochter Kathi, sowie der Großmutter Wenzel Apolonia, Hornung Leni mit Sohn Hans, Isemann Toni mit Ehefrau, Isl Franz und Ehefrau Marianne (meine Großeltern), Karcher Hans mit Ehefrau Eva und Welli Resi (Barons Kathi), Hubert Veronika (Schneider) mit Sohn Mathias und Tochter Eva, Lang Mathias mit Ehefrau Apolonia, Lang Paul mit Ehefrau Elisabeth und Sohn Paul, Mayer Veronika (Mayer Seilers) mit den Söhnen Franz und Hans, Moritz Peter mit Ehefrau Eva, Schwind) Katharina (Sodamacher) mit Tochter Leni und Balger Nanschi mit Tochter Resi.

Im September 1944 sah ich, damals noch nicht ganz 16 Jahre alt, die ersten Banater Schwaben, mit Pferdewagen durch Tscheb ziehen. Sie hatten alle einen Planwagen, auf dem sie ihre Habe geladen hatten, aber auch Kinder habe ich auf den Fahrzeugen gesehen und Buben und Mädchen die nebenher liefen und mit denen ich ein Gespräch suchte. Ich frug einen Buben der damals in meinem Alter gewesen sein musste, nach dem Ziel ihrer Reise und bekam die Antwort, nur bis nach Ungarn wolle man und dort abwarten bis das ganze Banat wieder frei von Russen und Partisanen ist, wir fahren nur bis Fünfkirchen und dann kommen wir wieder zu rück. Es wurde jedoch eine Reise ohne Wiederkehr. Ich habe damals schon geahnt, dass es uns ganz genauso gehen könnte und nur wenige Wochen später war es die Tatsache.

In meiner Familie (Mayer Seiler) in der Familie meines Onkels Ist Josef (Isl Balvierer) und meine Großeltern mütterlicherseits Isl Franz (Bukiner Gass) wurde tagelang diskutiert, sollen wir bleiben oder wollen wir weg. Mein Onkel Isl Josef, der damals vom deutschen Militär einen Kurzurlaub bekommen hatte und ich, versuchten noch ein weiteres Pferd beim Dunjerski im Ried zu bekommen, dieser Versuch klappte leider nicht und so entschlossen wir uns mit Großvaters Einspänner auf die Reise zu gehen. Wir beluden Großvaters Wagen mit Sachen, die man zum täglichen Leben unbedingt brauchte und nur das Allernotwendigste wurde mitgenommen.

Am Donnerstag, dem 12. Oktober 1944, gegen 11:00 Uhr, sind wir dann auf der Mittelgasse abgefahren.

Franz Mayer

Unsere Kolonne bestand aus ungefähr 60 Planwagen als wir Tscheb verlassen haben, wurde aber des öfteren während der Fahrt verkleinert (einwaggoniert). Wir fuhren über Palanka, hier wurde kurz Mittagspause gemacht und weiter ging es am ersten Tag bis Obrovac. In Obrovac wurde zum ersten Male übernachtet. Wir kamen in ein Haus, das bereits leer war und vor uns manch anderen als Über­nachtung diente. Nachdem meine Cousine Elfriede diese Nacht nicht schlafen wollte, suchten wir im Haus eine Wiege (Elfriede war damals ein Kleinkind), was wir fanden, war eine kleine Mulder, in die ab dieser Zeit die kleine Elfriede zum Schlafen gelegt wurde. Nachdem wir am ersten Tag nur etwa 25 km gefahren sind, ging es am zweiten Tag bei Zeiten weiter. Wir fuhren über Brestovac, Bacs, Deronje, Hodsag bis nach Milititsch. Immerhin 45 km schafften wir schon am zweiten Tag. Nach der Übernachtung in Milititsch ging es weiter über Doroslo, vorbei an der Wallfahrtskirche, nach Stapar über Sombor nach Bezdan. In Bezdan wurden wir im Hause Bilmayer untergebracht, deren Sohn Ladis – laus heute mein Freund ist, bzw. war (er ist 1991 verstorben). Am 15. Ok­tober 1944 fuhren wir über Kolut nach Batschki Breg (Heute Grenze zwischen Serbien und Ungarn) bis wir in Herzegszanto zum Mittagessen an – hielten. In Herzegszanto wurde uns das Brot, das wir noch von Tscheb mitgenommen haben, sehr knapp und meine Mutter hatte etwas ge­schnittenen Tabak dabei, den sie hier gegen Brot eintauschte. Weiter ging es nach dem Mittagessen über Davod bis Csatalja, hier trennten sich einige Fahrzeuge von der Kolonne ab, wir aber fuhren weiter über Nagy­baracska, Batmonostor bis kurz vor Baja. Dort wollten wir auf der Straße übernachten, wurden aber vom Militär darauf aufmerksam gemacht, dass am selben Tag die ungarische Regierung kapituliert habe und wir möchten uns beeilen, die Donaufähre in Baja zu erreichen und über die Donau zu kommen. Mitten in der Nacht wurde daraufhin weitergefahren und dies im Galopp. Ich rannte mit meinem Cousin Isl Franz neben unserem Einspänner die halbe Nacht durch ganz Baja durch, bis wir in aller Frühe die Fähre erreichten. Als wir mit viel Glück über der Donau waren, fuhren wir noch bis Bataszek.

Am 16. Oktober 1944 wurden wir vom deutschen Militär verpflegt. Dies war zwar das erste Mal, dass ich Soldaten-Kost bekommen habe, aber es sollte nicht das letzte Mal sein. Das Essen in Bataszek war übrigens so reichlich , dass ich anschließend Magenschmerzen bekommen habe. Hier in Bataszek wurden wieder Landsleute einwaggoniert. Wir aber fuhren weiter bis zum Berg vor Möcseny. Vor dem Berg mussten wir Halt machen. Heute würde ich sagen, es hatte sich vor dem Berg ein Stau gebildet. Wir übernachteten im Straßengraben und als es dann später zu regnen anfing, schliefen wir Buben unter dem Wagen weiter. Am nächsten Tag früh mussten die Einspänner mit einem zweiten Pferd verstärkt werden, denn nur mit zwei Pferden konnte man den Berg hochfahren. Nach der Anstrengung am Berg fuhren wir noch bis Grabocz. Am 18. Oktober 1944 kamen wir in Grabocz an und da dieses ein Schwabendorf war, blieben wir bis zum 23.10.1944. Hier gab es genug zu essen und besonders die Milch schmeckte dem Isl Franz und mir im Milchverein sehr gut, weil diese eben von zwei hübschen Schwabenmädel ausgeschenkt wurde.

Am 24. Oktober 1944 fuhren wir über Börzseny, Bonyhad, Majos, Nagymanyok, wo wir wieder über Nacht blieben. Tags darauf ging es weiter über Maza, Szaszvar, Töfü, Egyhazakozar, Bikal bis Magocs, wo wir wieder zwei Tage Rast machten. In Magocs sprach mein Großvater zum ersten Mal davon, wie schwer es für das Pferd ist, den Wagen mit allen Sachen und den kleinen Kindern darauf noch lange zu ziehen und er sich für eine Einwaggonierung von Tante Kathi mit ihren vier Kindern in der nächsten größeren Stadt mal umsehen werde. Ich glaubte nicht richtig zu hören, waren wir doch von klein auf und Tag für Tag zusammen, ich wollte und konnte das nicht glauben. Er aber hat mich später vor vollendete Tatsachen gestellt. Zunächst ging es weiter über Csikostöttös, Koposzekcso, Dombovar, Kapospula mit Übernachtung in Attala. Weiter gings über Csoma, Szsabadi, Nagyberk, Mosdos, Bate nach Taszar. Hier wurden wir in einem großen Pferdestell untergebracht, blieben zwei Tage und wurden von der deutschen Luftwaffe verpflegt. In diesem großen Gebäude waren außer uns Tscheber Leute aus Verbas, Kula, Tschervenka und Apatin bereits untergebracht.

Am 29. Oktober 1944 (diesen Tag werde ich so lange ich lebe nicht vergessen) ging es dann von Taszar über Kaposzzentjakob nachder Stadt Kaposvar. Dort angekommen, fuhren wir zunächst in Richtung Bahnhof, wo mein Großvater und meine Kathipesl dann auch den Bahnhof fanden. Was beide, und mit wem beide gesprochen haben, weiß ich heute nicht mehr, nur als ich dann hörte, dass meine Kathipesl, der Franz, der Sepp, die Irmgard und die Elfriede, also alle fünf vom Wagen meines Großvaters runter und einwaggoniert werden mussten, überkam mich eine große Verzweiflung und eine Wehmut, die ich auch heute, 50 Jahre später, nicht beschreiben kann. Die Angst, alle nicht mehr wieder zu sehen, war wohl das Schlimmste in diesen Stunden und nachdem wir uns alle voneinander verabschiedet hatten, konnte ich kaum noch gehen. Ich hielt mich am Schragl unseres Wagens fest und trottete, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, unserer Kolonne hinterher. Nicht weil meine Tante wollte, sondern weil Großvater es so bestimmte wurden wir auseinander gerissen. Ich habe das lange nicht verstanden und erst viel später hat Großvater noch einmal mit mir darüber gesprochen. Ich habe mehrere Wochen gebraucht, bis ich mit Großvater wieder normal sprechen konnte. Unsere Kolonne fuhr jedoch ohne Unterbrechung weiter. Über Kaposmero erreichten wir am selben Abend noch Kaposfö, wor wir wieder mal übernachteten. Tags darauf fuhren wir über Kiskarpat, Nagybajom, Böhönye nach Tapsony, wo wir in der Schule übernachteten. Über Nagyszakacsi, Kisid und Nemesvid ereichten wir schließlich die Orman-Pusta bei Somogy-simonyi. Auf der Orman-Pusta blieben wir bvm 1. bis 6. November 1944.

Am 7. November 1944 fuhren wir zunächst mal zurück bis Nemesvid, dann Kisvid in Richtung Marcali. Gegen 11 Uhr auf der Straße vor Marcali, rechts neben der Straße war Wald, links der Straße war freies Feld, griffen uns drei russische Tiefflieger an. Die Kolonne blieb mitten auf der Straße stehen, wir Buben legten uns, Deckung suchend, in den Straßengraben, die Ernst Marianpesl nahm ihre Tochter Käthe unter ihren Rock und einige liefen auch in den Wald, Die Flieger kamen von links und sie schossen “Gott sei Dank” viel zu kurz. Die Geschosse schlugen in das freie Feld ein, kurz vor dem Straßengraben hörten sie auf. Ein knapper Meter vor uns. Als dieser Spuk vorbei war, sah ich neben mir liegend den Lang Paul, sein Gesicht war voll schwarzer Erde, nur die Bewegung seiner Augenlider verriet mir, dass auch ihm nichts geschehen war. Wir standen wieder auf und mit zittrigen Knien ging ich zu unserem Wagen zurück. Meine Mutter rief mir zu, ich sollte noch im Straßengraben bleiben. Sie glaubte wohl, die Flieger kommen nochmal zurück. Diese aber hatten sicherlich ganz andere Ziele und nach der Feststellung durch unseren Kolonnenführer, dem Fahr-Wirt, dass niemand verletzt wurde, auch kein Pferd zu Schaden kam, fuhren wir weiter. An dieser Stelle möchte ich doch auf unseren Kolonnenführer zurückkommen. Der Josephvetter (Fahr Wirt) war der Mann, dem die Tscheb-Kolonne sehr viel zu verdanken hat. Er führte uns von Tscheb über Schlesien bis nach Bayern und dies ohne jeden größeren Zwischenfall. In Ungarn halfen wir Buben, der Hubert Matz, der Ernst Josef und auch ich, dem Josephvetter oft beim Quartier suchen für die Übernachtungen. Er schickte mich oft mit dem Fahrrad voraus, um nicht noch nachts suchen zu müssen und ich musste ihm immer schon am Nachmittag Bescheid über die nächste Übernachtung geben. Wir blieben an diesem Tage in Marcali über Nacht und bekamen für fünf Tage Verpflegung vom Militär. In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1944 habe ich kein Auge zugetan. Immer wieder sah ich diese drei Flieger vor mir, wie diese plötzlich Feuer spuckten. Ich war froh, als es wieder Tag wurde und wir wieder weiter fahren konnten. Wir fuhren über Felsöszita, Somogyfeherhaz, Somogysamson nach Savoly. In Savoly waren wir bei ungarischen Leuten 6 Tage lang im Quartier. Das Ehepaar hatte einen Sohn in meinem Alter. Alle waren sehr freundlich zu uns. Wir durften an ihrem Tisch mitessen und in der guten Stube schlafen. Es waren Bauern mit über 40 Joch Feld. Sie hatten einen großen Obstgarten mit vielen Äpfeln, Birnen, Zwetschgen und einen großen Edelkastanienbaum. Die Kastanien waren auch gerade reif und diesmal musste ich für die gerösteten Kastanien nicht bezahlen. Am 14. November 1944 musten wir uns auch von diesen guten Leuten verabschieden. Wir fuhren weiter über Halbot, Vörs bis an den Plattensee. In Kesthely war Mittagspause. Das Wetter verschlechterte sich zunehmend. Trotzdem fuhren wir noch bis Karmacs und hielten außerhalb, in der Nähe einer Pusta, auf freier Strecke an. Es regnete in Strömen und ein eiskalter Wind blies uns in das Gesicht, als wir die Pferde ausgespannt haben und diese zur der Pusta führten. Manche blieben über Nacht auf dem Wagen. Meine Mutter und ich führten unser Pferd ca. 800 Meter weit auf einer sehr schlechten, kaum begehbaren Straße in den Pferdestall einer Pusta, wo wir auf dem Stroh des Pferdestalles einträchtig neben unseren Pferden auch selber schliefen. In der Nacht hat es auch noch zu Schneien angefangen, jedenfalls mussten wir bei Tagesanbruch durch meterhohen Schnee unsere Pferde zum Wagen zurückbringen.

In dieser Nacht wäre einer unserer Tscheber bald vor Kälte verzweifelt. Sogar einen Strick hatte er schon in der Hand, als ihn seine Wenzl-Großmutter doch bewegen konnte, zu ihr auf den Wagen und unter ihre Zudecke (Duchet) zu riechen.

Franz Mayer

Am 16.November 1944 ging es weiter über Gyulavesz, Zalaszentlaszlo, Kisszentgrod, Zalaszentgrod, Aranyod bis Zalaber, wo wir wieder in einer Schule übernachteten. Tags darauf ging es weiter über Baltavar, Csehi, Oszkö, wo wir über Nacht in Häusern schlafen durften. Nächsten Tag fuhren wir durch die Stadt Vasvar und weiter in Richtung Grenze nach Rabahidveg, Rabamolnari, Zsennye, Rum, Balotsamegye, Rabakovacsi nach Sarvar. Desto näher wir der Grenze kamen, desto öfter musste ich an die Leute denken, die in Tscheb geblieben sind. Ich wusste ja nicht, dass zu diesem Zeitpunkt meine Mayer-Großmutter, die zuhause geblieben war und auch nicht mit wollte, ob sie noch am Leben war und wie es ihr ging. Wie mir erst viele Jahre später gesagt wurde, ging es ihr zu dieser Zeit noch sehr gut, verkaufte sie doch in dieser Zeit mit ihrem Enkel Nikolaus unseren Spinnhanf für viel Geld. Obwohl sie von diesem Geld nicht mehr viel hatte. Sie starb im Tscheber Lager im Juni 1945 im Alter von 73 Jahren.

Wir aber fuhren weiter, immer in Richtung Grenze, über Rabasömyeny, Alsopaty, Ladony, Simasag, Ujeker, Lövö, wo wir zum letzten Male in Ungarn übernachteten. Am 19. November 1944 von Lövö aus über Sopronkövesd. In Sopron überschritten wir um kurz vor 17 Uhr die Grenze. An dem Grenzbalken blieb mein Großvater stehen und sprach in ungarischer Sprache einen Satz, den ich auch nicht vergessen werde: “Gott mit Dir, Ungarland und lass uns nochmal zurückkommen. Auf Wiedersehen”. Mein Großvater hat Ungarn nicht mehr gesehen. Er starb 1948 und ist in Vierkirchen im Landkreis Dachau begraben. Wir fuhren nach Großhöflein, wo wir bei einer kroatischen Familie übernachteten und trafen am 20. November 1944 in Rehof bei Ebenfurt in einem großen Auffanglager ein. In diesem Lager Rehof bei Ebenfurt (heutiges Burgenland in Österreich) waren zu diesem Zeitpunkt mehrere Hundert Donauschwaben untergebracht. Allein zum Zwecke der Weiterschickung mit der damaligen Reichsbahn. Wir 40 Tscheber, die wir noch beisammen waren, mussten am 22. November 1944 unsere Pferde, Geschirr und Wagen abgeben und wurden zur Weiterfahrt nach Niederschlesien einwaggoniert. Alle, die meinen Großvater, den Isl Franz gekannt haben, wissen sehr wohl, dass er von harter Natur war. Ich habe ihn niemals vorher und auch danach nicht weinen gesehen. Als er sein Pferd abgeben musste, liefen ihm die Tränen über sein Gesicht; obwohl er weinte, sprach er mit seinem Pferd und dankte diesem. Zu mir sagte er später, dass er immer Angst hatte, dass dieses kleine Pferd den weiten Weg nicht schaffen könnte und er deshalb auch unsere Kathipesl mit ihren Kindern schon in Kaposvar absteigen ließ.

Unsere Kolonne von Tscheb bis Rehof hatte keinen Unfall. Es ging kein Wagen oder Rad zu Bruch und es wurde niemand krank. Unsere wenige Habe durften wir alle behalten. Mit Kisten, Koffern und vielen Paketen wurden wir schließlich mit der Bahn nach Meling in die Grafschatz Glatz gebracht. In Habelschwert wurden wir von Bauern am Bahnhof abgeholt und zu der Familie Weis gebracht, die in Meling eine Gaststätte mit einem Saal hatte. Der Saal wurde für mehrere Monate unser Zuhause. Dass unsere Flucht damit noch nicht zu Ende war, erfuhren wir schon im Februar 1945.

Der Weg der Tscheber führte in die Grafschatz Glatz nach Meling in Niederschlesien. Hier wurden wir in dem Gasthaus Weis in einem Saal untergebracht. In diesem Saal waren bereits Stockbetten aufgestellt, ein Ofen war ebenfalls vorhanden und ein langer Tisch mit Stühlen. Zur Begrüßung bekamen wir eine Art Suppe kredenzt, die in der Hauptsache aus Karotten bestand, von der mir auch prompt schlecht wurde. Ich entsinne mich noch ferner, dass ich meinen Bruder Hans die Treppe hochtragen musste, weil er zu dieser Zeit schwer krank war. Es war kurz vor Weihnachten 1944, als wir zum ersten Male Lebensmittelmarken zu unserer Verpflegung ausgehändigt bekamen. Uns erreichte aber zu diesem Zeitpunkt auch eine sehr schlecht Nachricht. Die Hiobsbotschaft betraf die Familie Karcher, der Sohn war gefallen. Kurz darauf wurde auch die Familie Toni Isemann von ihrem Bruder aus Meling abgeholt. Zu diesem Zeitpunkt herrschte eine sehr gedrückte Stimmung und ich kann mich gut erinnern, als in den Abendstunden des heiligen Abends Hubert Matz eine kleine Ansprache an uns hielt, wie schlimm es um unseren Gemütszustand war. Jedenfalls werde ich diesen Abend so lange ich lebe niemals vergessen.

Zwei Tage später hatte uns der Alltag wieder eingeholt und wir Buben, Ernst Josef, Ernst Franz, Fahr Michel, Hubert Matz und ich mussten einkaufen gehen. Mit den Lebensmitteln, die wir bekommen haben, mussten wir nunmehr uns selbst versorgen und mit einem kleinen Leiterwagen fuhren wir den Berg hinunter nach Eisendorf. Abwärts ging es immer sehr schnell, nur den Berg hoch mit den Lebensmitteln war für uns nicht immer leicht.

Im Januar 1945 wurden wir dann im Nachbarsdorf Altwaldersdorf bei verschiedenen Bauern untergebracht. Meine Familie und Hubert Schneider wurden auf einem größeren landwirtschaftlichen Gut untergebracht. Das war auch die Zeit, in der Hubert Matz, Ernst Josef und sein Bruder Franz unsere Tscheber Gruppe verließen. Der Ernst Josef, Sohn des Richters Ernst, wird darüber noch berichten. Von Altwaltersdorf nach Habelschwert war es nicht weit, so habe ich des öfteren mit einem Fahrrad dieses Städtchen aufgesucht. Bei so einer Gelegenheit wurde ich von einer Militärstreife kontrolliert und musste tags darauf mich im Wehr-Ertüchtigungslager in Habelschwert melden. Zu diesem Zeitpunkt kam die Ostfront immer näher. Im Wehr-Ertüchtigungslager wurden wir schwer gedrillt und ich hörte etwa Mitte März 1945, als ich nachts Wache schieben musste, bereits Kanonen, die nicht mehr allzuweit waren. Der Fahr Josef (Fahr Wirt) sorgte wieder mal, dass in dieser Zeit, als die Ostfront immer näher kam, unsere Tscheber aus dem Kriegsgebiet herauskamen.

Am 28. März 1945 wurden wir alle in Habelschwert in einen Zug gebracht. Die Fahrt ging über Mittenwalde durch die Tschechei in Richtung Bayern. Am Karfreitag 1945 haben wir mit unserem Zurg in Trebitsch in der Tschechei Halt machen müssen. Wir standen dort im Bahnhof bis Ostermontag. Tags zuvor, am Ostersonntag, fuhr ein Zug, voll besetzt mit deutschen verwundeten Soldaten und Krankenschwestern, neben uns am Nachbargleis als erster aus dem Bahnhof Trebitsch heraus. Wir alle dachten, nachdem wir schon zwei Tage dort standen, das unser Zug wohl als erster den Bahnhof verlassen würde. Welches Glück wir wiederum hatten, erfuhren wir in Iglau. Der Zug mit den Verwundeten wurde in Iglau von Fliegern total vernichtet.

Am Ostermontag 1945 ging es mit dem Zug dann weiter. Auf dieser Fahrt habe ich viele von Bomben zerstörte Bahnhöfe gesehen, bis wir am 6. April 1945 in Wolnzach in der Holledau angekommen sind. Am Bahnhof in Wolnzach wurden wir wieder von Bauern, nämlich durch unseren späteren Gastgeber, Herrn Hirschberger, aus Haushausen abgeholt. Auch unser neuer Gastgeber hatte ein Gasthaus mit Saal und wir kamen wie gehabt wieder in so einen Saal. Von unserer Gruppe Tscheber Leute fehlte aber zu dieser Zeit der Hubert Matz,der Ernst Josef und sein Bruder Franz. Der Hubert Matz ist aber sehr bald wieder zu uns gestoßen. Er war zwischenzeitlich im Gymnasium in Reichenberg und ist vor den Russen geflüchtet.

Wie es den beiden Ernst-Brüdern erging, schildert der Josef wie folgt:
“Am 15.01.1945 fuhren wir, der Hubert Matz, mein Bruder Franz und ich von Meling in Niederschlesien nach Reichenberg im Sudetengau. In Reichenberg wurden wir an die einzelnen Schulen verteilt. Der Matz ist am Gymnasium in Reichenberg geblieben. Mein Bruder kam nach Böhmisch Laipa in die Bürgerschule. Ich musste nach Hammer am See zur Handelsoberschule fahren. Die Schule war in der Villa Jeschkenblick untergebracht und war zugleich KLV (Kinderlandverschickung) Lager. Im März wurden wir zum Volkssturm eingezogen und mussten Panzersperren bauen. Als die Front immer näher kam, wurden alle Schulen, die aus Ungarn waren, evakuiert. Am 28. April fuhren wir mit der Reichsbahn von Böhmisch Laipa aus in Richtung Salzburg. Der Hubert Matz war nicht mehr dabei, er wurde als 17-jähriger ins Wehrertüchtigungs -Lager eingezogen. Wir waren ca. 700 Schülerinnen und Schüler mit Lehrer und ihren Familien. Am 4. Mai 1945 kamen wir in Zell am See/Österreich an. Die Mädchen kamen nach Saalfelden, die Buben nach drei Wochen nach Taxenbach. In einer Schule wurden wir untergebracht. Ich arbeitete einige Monate bei einem Bauern in Taxenbach ums Essen. Franz blieb weiter in der Schule.Ende September holte der Hubert Matz Franz und mich in Taxenbach ab und brachte uns nach Haushausen zu unserer Mutter.”

Soweit die Schilderung vom Ernst Josef und ich darf weiter ergänzen, dass wir danach alle froh waren, wieder beisammen zu sein. Nach dem Einzug der Amerikaner in Haushausen lernten wir auf dem Hofe von Hirschbergers die Landwirtschaft kennen. Hubert Matz und ich wurden zu Schweizern umfunktioniert und mussten uns um einen großen Kuhstall kümmern. Zum Glück hatten diese Leute bereits damals schon eine Melkmaschine. Ungefähr 25 Kühe, Jungvieh und ein Stier mussten sowohl gemolken, wie auch sonst versorgt werden. Unsere übrigen Leute wurden im Hof und auf den Feldern ebenfalls eingesetzt. Uns ging es allen gut, zum Essen war genug da, nur wussten wir nicht, wo unsere Väter waren. Der Krieg war vorbei und wir alle hofften, wieder zurück in unsere Heimat zu kommen. Dass dies endgültig vorbei war, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht und so haben wir bei vielen Institutionen nachgefragt und erfuhren, dass sich unsere Landsleute in Dachau sammeln, um nach Hause zu kommen. Dass dies stimmte, sollten wir bald erfahren.

So verging der Sommer 1945. Im Oktober dieses Jahres sind wir, mit Ausnahme der Familie Ernst, Hubert und Api mit ihrer Mutter in dieses Durchgangslager nach Dachau gegangen. Dieses Durchgangslager war eine Einrichtung der Amerikaner, eingerichtet für die Rückführung aller Menschen in ihre angestammte Heimat. Nur leider hat keiner damit gerechnet, dass wir von den Jugoslawen nicht mehr aufgenommen wurden. In diesem Lager waren wir bis zum 19. November 1945 und nachdem feststand, dass wir nicht mehr nach Hause konnten, hat man uns im Landkreis Dachau in Gasthäuser, aber auch in Privathäuser untergebracht. Ich muss dabei noch erwähnen, dass wir in dem Lager in Dachau noch weitere Tscheber getroffen haben. Nach meiner Erinnerung waren das die Familien Ams, Grof-Fischers, Feineisen, Scherbart usw. Wir alle kamen durch die Initiative von Fahr Lisl nach Vierkirchen und das zur Gemeinde Vierkirchen gehörende Esterhofen, das eine Bahnstation (heute S-Bahnstation) hatte. In dieser Zeit kamen auch die ersten Tscheber Männer, die beim deutschen Militär waren, nach längerem Suchen bei unseren Tscheber Familien an. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Ankunft vom Schwindl Toni, der erblindet doch seine Angehörigen fand. Auch mein Cousin, der Isl Franz, der uns mit seiner Familie schon in Ungarn in Kaposvar verlassen musste, kam zu Besuch. Der Isl Franz wusste, dass mein Vater nach kurzer Gefangenschaft in Forst an der Lausitz sein sollte. Der Isl Franz und ich beschlossen, die Reise nach Forst zu riskieren, um meinen Vater zu holen. Wir wollten am nächsten Tag mit dem ersten Zug, der von Esterhofen aus nach München fuhr, losfahren. Wir mussten nicht fahren, weil mein Vater mit dem ersten Zug, der von München nach Esterhofen kam, zu unserer großen Freude in Vierkirchen ankam.

Wie es aber meiner Kathipesl (Isl-Balvierer) mit ihren vier Kindern nach Kaposvar erging, sie musste vom Wagen runter und wurde in Kaposvar in Ungarn einwaggoniert, erzählt am besten der Isl Franz selbst:
“Als die Tscheber mit ihren Wagen (in Kaposvar/Ungarn) weiterfuhren wurden wir einwaggoniert. Mit uns im Waggon waren außer meiner Mutter Bruder Josef, die zwei Schwestern Irmgard und Elfriede, und noch weitere Tscheber: Das waren die Theresia Isl mit Sohn Toni (Gärtner Jakob Isl), Ferger Michl mit Tochter Isemann und Groß-Kinder, zwei Mädchen, Frau Mang mit Mutter, zwei Töchter und Sohn, Frau Theresia Sartitsch (Hubert Frisör seine Frau) und Sohn Hans und Tochter Theresia Schrenk mit Sohn, Frau Theresia Isl geb. Ernst mit Tochter Kathi (Isl-Müller), Frau Mingl geb. Ernst mit zwei Töchtern und Vater Hans Ernst (Maurer). Als unser Transport voll war, fuhren wir Richtung Österreich. Als wir kurz vor Linz waren, mussten wir alle raus aus dem Waggon und in einen nahe gelegenen Birkenwald. Kaum waren wir in dem Wald, ging die Bombardierung auf dem Linzer Bahnhof los. Unser Glück war, dass wir noch nicht einfahren konnten, sonst wären wir alle umgekommen. Danach wurden wir umgeleitet, über die Tschechei nach Thüringen. Zuerst kamen wir in Zella-Mehlis an, über Wernshausen ins Trusetal. Wir hatten wieder Glück mit der Hausfrau Ida Wolf. Die hat sich nicht nur um die Kinder gekümmert, sondern hat noch die Isl Respesl mit dem Sohn Toni zu sich aufgenommen. Als dann der Krieg vorbei war, kamen wir vom Trusetal über Eisenach, Erfurt, Dresden nach Forst an der Lausitz in ein Sammellager. Die haben aber recht bald rausbekommen, dass wir Schwaben sind und keine Jugos und haben uns im offenen Viehwaggon nach Belzig in der Mark, in ein ehemaliges KZ-Lager gebracht. Danach wurden wir wieder in einem Viehwaggon nach Neustadt an der Dosse gebracht. Wir wurden im Kreis Neuruppin auf die Dörfer verteilt, wir waren in Planitz. Da kam ein Aufruf, wer aus dem Westen ist, kann sich melden. Das haben wir alle getan. Von Neustadt fuhren wir in das Sammellager nach Empelde bei Hannover und von da aus wurden wir wieder auf die Dörfer verteilt. Wir kamen nach Degersen-Wennigsen im Jahre 1946 und sind bis zum heutigen Tage dageblieben. ”

Unsere Gruppe, so bleibt zu berichten, blieb ebenfalls in Vierkirchen, Esterhofen und in Pasenbach. Die Familie Hubert (Hubert-Schneider) und die Familie Ernst (Ernst-Richter) gingen von Haushausen nach München. Hier sollte mein Bericht zu Ende sein, ich will Ihnen aber aus meinen Erinnerungen sagen, je älter ich werde, umso öfter passiert es mir, dass Gedanken auf Wanderschaft gehen und ich mich in Tscheb wiederfinde.

Ich liebe meine alte Heimat über alles. Heute so scheint es mir, als sei unsere Flucht von daheim bis an das Ende der Welt gegangen und ich finde nicht mehr nach Hause.

Franz Mayer

Dieser Bericht wurde von Franz Mayer (*1929 – +2006) verfasst und im 23. und 24. Tscheber Heimatbrief / Dezember 1994 und Dezember 1995 veröffentlicht.